Es waren die leuchtenden Augen von Eva Heid, Senior Consultant bei ottomisu, die mich neugierig machten. Bei einem Meeting zu Storytelling erzählte sie mir von ihrem Unternehmen ottomisu und über den grundlegenden Changeprozess, welches dieses im vergangenen Jahr durchlebt hatte. Ich habe selten jemanden erlebt, der so enthusiastisch über sein Unternehmen erzählt.
Fast alle Geschichten, die ich in den vergangenen Jahren von Mitarbeitern über ihre Changeprozesse gehört habe, hatten einen eher negativen bis leidvollen Unterton. Die handelten von undurchschaubaren Prozessen, wenig Motivation, von missbrauchtem Vertrauen, wenig Mitsprache und davon, dass sich am Ende ja doch wieder nichts Grundlegendes verändert hätte.
Wie anders die Geschichte von Eva! Sie erzählte davon, dass sich ALLE Mitarbeiter gemeinsam zwei Monate Zeit genommen hätten, um am Change zu arbeiten, dass sich das Unternehmen sozusagen ein Sabbatical genommen hätte.
Ich wollte wissen, wie so etwas funktioniert und praktisch aussieht. Dafür habe ich ottomisu besucht und viele Gespräche mit ganz unterschiedlichen Mitarbeitern geführt. Dabei habe ich erstaunliches erfahren.
In der März/April Ausgabe des Magazins changement! haben Helge Thomas von ottomisu und ich dann einen Artikel über das zweimonatige “Sabbatical” von ottomisu veröffentlicht. Darin berichten wir, was ottomisu in seinem Changeprozess anders gemacht hat, wie das konkret abgelaufen ist und welche Erfahrungen sie dabei gewonnen haben.
Ich finde, die ottomisu-Story ist ein gutes Beispiel für das Thema gelebte Empathie und Resonanz in Unternehmen und zeigt, wie ein echtes Hinhören, Mitnehmen und Eingehen auf die eigenen Mitarbeiter funktionieren kann und was es bewirkt.
Jetzt darf ich mit freundlicher Genehmigung von changement! unseren Text als Blogbeitrag veröffentlichen.
Viel Spaß beim Lesen wünschen
Helge Thomas & Karin Thier
Was macht eine Agentur, wenn sie spürt, dass einfach alles nicht mehr so richtig zu den aktuellen Herausforderungen passt: das Angebots-Portfolio, das Hierarchiegefüge, die internen Strukturen, die Kommunikationswege und nicht mal der Unternehmensname. Die Agentur, die heute Ottomisu heißt, entschied sich 2018 zu einem ungewöhnlichen und radikalen Schritt: sie machte für zwei Monate dicht und nutzte die Zeit gemeinsam mit allen MitarbeiterInnen für einen echten und tiefgreifenden Change. Was das „Sabbatical“ dem Unternehmen gebracht hat und wie so ein Vorhaben gelingen kann, davon erzählt dieser Beitrag.
Dass sich bei ottomisu (damals noch pro event) grundlegend etwas verändern muss, war der Führungsspitze schon lange bewusst. Grund dafür war die immer stärkere Forderung des Marktes nach ganzheitlichen Kommunikations-Lösungen statt singulärer Events. Etwas, was durchaus im Kompetenzbereich der Agentur lag. Der damalige Name pro event stand dieser Entwicklung allerdings im Weg, denn er suggerierte ganz klar die reine Eventagentur. Immer wieder war von Kundenseite zu hören: Ich wusste gar nicht, was ihr alles macht. Um am Markt erfolgreich zu bestehen musste dringend auch in der Außenkommunikation mit dem Kunden etwas passieren. Aber auch intern rumorte es. Eine seit langem spürbare Unzufriedenheit und Orientierungslosigkeit unter den MitarbeiterInnen, vor allem im Hinblick auf nicht klar aufgesetzte Prozesse, Regeln und Infrastruktur, zwang zum Handeln.
ottomisu communication GmbH
Die Heidelberger Kommunikationsagentur ottomisu wurde 1993 unter dem Namen „pro event“ gegründet und war auf das Management von Veranstaltungen spezialisiert. Seit 2019 firmiert die Agentur unter „ottomisu“ und beschäftigt ca. 50 feste und freie Mitarbeiter. Sie realisiert die ganzheitliche Markenkommunikation für Kunden wie SAP, BASF oder die Deutsche Bahn.
In Meetings war das Thema Zukunftsstrategie und Change omnipräsent. „Wir sind zwar gut, aber unstrukturiert und wir haben die Leute nicht mehr richtig an Board. Wir müssen mal anhalten,“ brachte es Helge Thomas, der Creative Director, auf den Punkt. Und schloss mit dem folgenschweren Satz: „Soll ich euch mal meine verrückteste Idee verraten: Ich würde den Laden ein paar Monate dicht machen und richtig aufräumen.“
Die Idee für das „Sabbatical“ war geboren und zum Erstaunen aller war die Reaktion des Geschäftsführers nicht: Nein, das können wir uns nicht leisten, sondern: Ja, da ist etwas dran. Nun war es eine beschlossene Sache: Die Agentur wird sich eine zweimonatige Auszeit nehmen mit dem Ziel, gemeinsam mit allen MitarbeiterInnen die Zukunft des Unternehmens zu gestalten. Geplant wurde das sogenannte „Sabbatical“ für die erfahrungsgemäß ruhigste Zeit für Agenturen Januar-März.
Ab dem Sommer 2017 begannen die ersten Vorbereitungen in Form von individuellen Mitarbeitergesprächen, einer langfristigen Roadmap und einem World Café. Die MitarbeiterInnen wurden in dieser Phase über das „Sabbatical“ und die Intention der Geschäftsführung informiert und konnten Ihre Themen und Wünsche einbringen. „Wir wollten allen begreifbar machen, wohin unsere Reise gehen soll und von Ihnen wissen, ob sie da was bei sich spüren“, erinnert sich Helge Thomas, Creative Director.
Dann vergingen erst einmal Wochen, ohne dass die Umsetzung des „Sabbaticals“ klare Formen annahm. Auf Vorbilder oder Erfahrungswerte von anderen Unternehmen konnte man bei diesem ungewöhnlichen Vorhaben nicht zurückgreifen. Unter den MitarbeiterInnen macht sich in dieser Zeit auch Skepsis und Unsicherheit breit und noch ist nicht für alle greifbar, was das „Sabbatical“ konkret bedeutet. Klar ist nur, dass es sich nicht um eine klassische Auszeit, im Sinne von Freizeit handeln wird.
Zwei MitarbeiterInnen nehmen schließlich die Zügel in die Hand und werden für die Vorbereitung des „Sabbaticals“ freigestellt. Ihre Aufgabe ist, dem Vorhaben eine klare Struktur mit Budget- und Zeitrahmen zu verleihen, MitarbeiterInnen und Themen (wie z. B. Prozesse, Nachhaltigkeit, Ressourcenplanung) zu identifizieren, sinnvolle Zeitblöcken zu koordinieren und gewünschten Arbeitsergebnisse zu formulieren, denn, so Olaf Ginter, Senior Consultant bei Ottomisu: „Bei aller gewünschten Kreativität und Sehnsucht nach freiem Denken, braucht es einiges an Organisation im Vorfeld, um nicht ziellos zu starten.“
Bis Ende des Jahres steht der konkrete Plan alle Mitarbeiter wissen, bei welchem Thema sie mitwirken, welche Gruppe was bearbeitet, wann und wo sich diese triffttrifft und wer welche Rolle dabei hat.
Daneben werden die „Sabbatical-KoordinatorInnen“ auch noch mit der Anmietung und Umgestaltung einer leerstehenden Etage in einem Nachbargebäude betraut, in welches die Teams während der Auszeit umziehen sollten. Auf diese Weise vollzog sich auch eine räumliche Trennung zum Alltagsgeschäft. In einem achttägigen Marathon und mit viel Improvisationstalent verwandelten sie die nüchternen Räume in die (dann spontan so genannte) „Bel Etage“, die optisch ganz nach den Bedürfnissen der intensiven Arbeit in Themengruppen designed wurden. „Es war wichtig, dass das gesamte Konzept für die Gestaltung der Räume von uns aus dem Team kam, damit wächst auch die Identifikation. Alle packten mit an, haben Kisten geschleppt“, erzählt Olaf Ginter. Die „Bel Etage“ ist ein wichtiges Signal in Richtung „Gemeinsam etwas für uns schaffen“ und wurde für die MitarbeiterInnen zu einer Art Symbol für die „Sabbatical-Zeit“.
Ende Januar 2018 wurden die Schreibtische aufgeräumt, letzte Projektarbeiten klargezogen und schließlich in die „Bel Etage“ umgezogen.
Die zwei Monate „Sabbatical“ entpuppen sich für alle sowohl emotional als auch inhaltlich schnell als eine intensive und anstrengende Zeit. Der Stundenplan ist für alle voll. In Vier-Stunden-Blöcken tagen die verschiedenen Arbeitsgruppen, u. a. zu den Themen Rollenverständnis & Entscheidungsstrukturen, Prozessoptimierung von Akquise bis Produktion, „Wertemanifest“, Transparenz & Kommunikation intern, Kernkompetenzen erweitern, Namensfindung, Überarbeitung Bonussystem, neue Agentursoftware, Aufbau digitales Portfolio, Serverstruktur. Dazwischen immer wieder Zeit für Austausch und Ergebnispräsentationen. Auch für nicht verschiebbare Kundenkommunikation sind Zeitfenster eingeplant. Zweimal in der Woche steht außerdem ein halber Tag „Zeit für mich“ auf dem Programm; dieser soll bewusst individuell genutzt werden, um den Kopf frei zu bekommen. Darüber hinaus gab es das Angebot für die MitarbeiterInnen, die durch den Veränderungsprozess persönliche Unsicherheiten oder Ängste verspürten, für sie kostenlos und völlig anonym, individuelle Coaching-Termine in Anspruch zu nehmen.
Für ottomisu war besonders wichtig, dass alle MitarbeiterInnen während dieser Zeit auf den Themen arbeiten konnten, die sie sich ausgesucht hatten, egal ob die Eignung dafür passte oder nicht und dass während des „Sabbaticals“ sich alle auf Augenhöhe begegneten. „Wir hatten die Leitung der Arbeitsgruppen ganz bewusst unterschiedlichen Leuten zugewiesen. Das war für manche sicher befremdlich. Es war auch mal die Junior Projektmanagerin oder unser Lagerleiter in der Rolle der Moderation und die, die normalerweise Projektleitung machen in der Rolle eines Teilnehmers. Nicht in allen Arbeitsgruppen hat das immer richtig gut funktioniert“, berichtet Eva Heid, Senior Consultant. Eine Schwierigkeit dabei: Die neutrale Moderatorenrolle war nicht für alle einfach auszufüllen. Manchen fehlt es an Erfahrung und Kompetenz, für andere war es wiederum schwierig, sich zurückzunehmen.
Auch zeigte sich schnell, dass bei einigen Ergebnisbeschreibungen der Arbeitsgruppen nachgearbeitet werden musste. Teilweise waren die erwarteten Ergebnisse zu genau beschrieben, oder in dem veranschlagten Zeitraum nicht zu realisieren. „Man darf nicht zu viel erwarten, sonst besteht schnell die Gefahr, Frust zu erzeugen“ erklärt Jana Tepper, Junior Projektmanagerin.
Eine Vorstellung, die dagegen eins zu eins aufging, war die Wirkung des täglichen gemeinsamen Mittagessens über die beiden Monate hinweg. „Wichtig war ein gemeinsamer, definierter Rahmen. Das war unser Mittagessen, das war ein Anker. Diese Zeit war uns heilig“, erinnert sich Olaf Ginter. Diese verlässliche tägliche Begegnung aller, bei der auch bewusst Neues aus den Gruppen besprochen wurde, leistete einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Teambildung, den keine und keiner missen und verpassen wollte.
Am Ende des Sabbatical wurden alle Ergebnisse in einem Abschluss-Workshop von den ARGE-LeiterInnen präsentiert. Für jedes Ergebnis und dessen Implementierung und Weiterentwicklung hat je ein/e MitarbeiterIn die Verantwortung übernommen. Darüber hinaus wurde ein Mitarbeiter als „Stabstelle“ beauftragt, diese Implementierung organisatorisch zu begleiten und sicher zu stellen. Dazu gibt es – auch das wurde im Sabbatical entschieden – zweimonatige „PitStops“, bei denen die jeweiligen Projektfortschritte“ von den Verantwortlichen für alle sichtbar gemacht werden. Olaf Ginter: „Wenn wir mit den Beiträgen und Ergebnissen nicht ernsthaft und seriös umgehen, wirft uns das stärker zurück und würde viel zerstören.“
Der Übergang zurück in den Alltag nach den zwei Monaten fiel vielen nicht ganz leicht und der Prozess der Umsetzung und Umstrukturierung läuft immer noch weiter. Wobei sich alle jedoch einig sind: Das „Sabbatical“ hat das ganze Unternehmen einen großen Schritt Richtung Zukunft gebracht. Endlich war Raum da, Themen zu bearbeiten und auch zu Ende zu denken, für die im Arbeitsalltag oft die Zeit fehlte. Eine ganze Reihe klar definierter Ergebnisse sind entstanden: Die neue Agentursoftware, die in liebevoller Kleinstarbeit beschriebenen Prozesse und die jetzt definierten Kommunikationsstrukturen mit wöchentliche Status-Updates, und Agentur-Bar-Camps, bei dem Mitarbeiter jegliche Themen, auch privater Natur, einbringen können. Vieles davon ist erst einmal im Versuchsstadium und muss sich bewähren, aber die Richtung stimmt.
Und noch etwas ganz Entscheidendes hat sich, aus dem Sabbatical heraus, verändert: pro event hat nach 26 Jahren seinen Markennamen in ottomisu geändert, mit dem ergänzenden Claim „connecting people, brands & markets. Damit ist ein Name gefunden, der sowohl Coolness, als auch Beständigkeit signalisiert und in dessen Klang sich alle recht schnell verliebt haben und mit dem das Unternehmen ein klares Zeichen in Richtung ganzheitlicher Kommunikationsdienstleister setzt.
„Wir haben einen Shift reingebracht.“ Helge Thomas, Creative Director
Der Haupterfolg des „Sabbaticals“ für ottomisu ist aber, dass sich durch die intensive gemeinsame Arbeit das Gefühl von Unsicherheit und unklarer Zukunftsperspektive auflösen konnte und einem kollektiven Gefühl von „wir sind gemeinsam auf dem Weg“ wich. Olaf Ginter ist daher der Meinung: „Das sollten wir in einem festen Rhythmus regelmäßig wiederholen.“
Für Eva Heid ist das Scheitern vieler Change-Projekte gerade darin zu sehen, dass diese zu kurz greifen. Die Mitarbeiter werden nicht Teil der Veränderung, sie sind stark darauf angewiesen, dass die Führung den Change vorantreibt: „Hier ist das Gefühl jetzt anders, wir alle treiben den Change voran, nicht nur ein Team, sondern wir alle ganz selbstverständlich. Wir sind der Change!“
– Alle Mitarbeiter von Anfang an informieren und konkret mit einbeziehen (Aufgaben gerecht und zeitlich passend verteilen)Besser nur wenige Mitarbeiter im Planungsteam, aber mit richtigem Mandat und nötigem Vertrauen
– Beschränkung auf wenige, aber relevante Themen
– Keine zu starren Ergebniserwartungen oder –beschreibungen
– Schulung und klare Aufgabenbeschreibung für alle Moderatoren*innen
– Verbindliche gemeinsame Zeiten einplanen (z. B. das Mittagessen)
– Räumliche Trennung zum Arbeitsalltag, abseits des Büros
-Etwas vom Zauber des „Sabbaticals“ mit zurück in den Arbeitsalltag nehmen (z. B. einen Arbeitsraum mit Erinnerungsstücken aus der Arbeitsgruppen)