Seit längerer Zeit frage ich mich, ob die omnipräsente Heldenreise, die nach wie vor Basis vieler Branding- und Content Managementstrategien bildet, noch immer ein zeitgemäßes Erzählmodell ist. Eine Empfindung, die viele von euch zu teilen scheinen. Daher möchte ich gerne zusammen mit euch neue Ideen in Richtung Storytelling denken und mit ihnen experimentieren.
In diesem zweiten Teil meiner „Storytelling in der Post-Heldenreise Ära“ Blogserie (hier der Link zu Teil 1) soll es um das Thema Resonanz bzw. um „Resonanznarrative“ gehen. Ein, wie ich finde sehr interessanter Ansatz für die Arbeit mit Storytelling. Katja Schmid, Professorin für Visual Effects and Postproduction an der Hochschule der Medien HdM (https://www.hdm-stuttgart.de/vmlab) in Stuttgart (und selbst etwas müde von der Heldenreise), machte mich vor einiger Zeit bei einem Gespräch über neue Erzählformen auf Prof. Hartmut Rosa und seine Resonanztheorie aufmerksam. Und bei der Auseinandersetzung mit diesem Ansatz hat sich sogleich bei mir Resonanz in Bezug auf das Erzählen von Geschichten, gerade auch im Kontext von Unternehmenskommunikation, eingestellt :-).
In der Physik wird das Mitschwingen bzw. -tönen eines Körpers in der Schwingung eines anderen Körpers als Resonanz bezeichnet . Auf Unternehmen bezogen würde Resonanz so etwas wie das gemeinsame Schwingen von Unternehmen und Umwelt, eine Art aktive Antwortbeziehung zwischen Unternehmen und Welt (Mitarbeiter, Kunden), in der sich beide Seiten wechselseitig anregen und aufeinander beziehen, bedeuten.
„Resonanznarrative“ wiederum wären dann Geschichten, die über eine solche, gelingende Schwingung bzw. Antwortbeziehung erzählen oder eine solche hervorrufen möchten. Der Begriff „Resonanznarrative“ ist so bislang in der Literatur nicht zu finden. Ich verwende ihn hier um die Inhalte der Resonanztheorie für Storytelling bzw. das narrative Management im Rahmen von z. B. Unternehmenskommunikation, Branding und Content Management anzuwenden.
Ich will gleich vorwegsschicken, dass es sich bei den folgenden Gedanken um keine neue, fertige Erzählform oder Erzähltheorie handelt, die sich eins zu eins für Content Management, Unternehmenskommunikation oder Branding Projekte übertragen lässt. Es sind vielmehr Ansätze und Ideen für eine neue Art des Erzählens, für die vor allem eine andere inhaltliche Zielsetzung charakteristisch ist.
Bevor ich die vier Elemente der Resonanznarrative näher vorstelle, möchte ich noch kurz erläutern, warum ich glaube, dass in den Resonanznarrativen eine wahre Schatzkiste für die Zukunft der Unternehmenskommunikation liegen könnte.
Hartmut Rosa beschreibt in seinem 2018 erschienen Buch “Unverfügbarkeit“, dass Resonanzbeziehungen bzw. Resonanzmomente, in denen wir in einer erlebbaren Antwortbeziehung zur Welt stehen, eine entscheidende Rolle für ein gelingendes Leben in der heutigen Welt, die uns zunehmend stumm, unübersehbar, nichtssagend und leer erscheint, spielen. Auch Kunden und Mitarbeiter sehen sich nach Resonanzerfahrungen in und mit Unternehmen, denn die Beziehung zu Unternehmen wird in zunehmendem Maß durch eine Art Entfremdung oder Beziehungslosigkeit erlebt: keiner nimmt mich wahr, ich erfahre keine Wertschätzung für meine Arbeit, keiner hört mich und meine Anliege, nimmt meine Ideen ernst… Ein Phänomen, welches sich auch in den steigenden Ausfallzeiten in Betrieben durch Depression und Burnout drastisch zeigt. Auf der anderen Seite ist überall dort, wo Resonanz spürbar wird und nach außen getragen wird, auch wirtschaftlicher Erfolg zu sehen. Zum Beispiel funktioniert Recruiting nach wie vor am besten über begeisterte Mitarbeiter, die ein positives Image Verkörpern und auch für 2019 sind die Toptrends für Marketing- und Content Management Kundenempfehlungen z. B. über Online-Bewertungen und Influencer Marketing. In beiden Fällen geht es um mehr oder weniger authentische Berichte über Resonanzerfahrung mit Unternehmen und Produkten von Kunden und Mitarbeitern.
Schauen wir uns jetzt diese Resonanzmomente einmal genauer an und was das für Unternehmen bzw. Storytelling bedeutet. Dabei spielen drei bzw. vier Elemente eine Rolle (s.a. Rosa, 2018, 38ff.):
Berührung (durch das Andere) -> Selbstwirksamkeit (Antwort des Anderen) -> Transformation (Erleben von Lebendigkeit)
Das Zusammenspiel dieser drei Momente bildet das Grundgerüst für Resonanznarrative und kann Ausgangspunkt für die Entwicklung von Geschichten sein. Kern der Resonanznarrative bilden dabei die Resonanzmomente, die die oben beschriebenen Elemente von Resonanz erfüllen und beim Publikum die Beziehung des Unternehmens zu Welt spürbar machen und im Idealfall selbst Resonanz beim Lesen, Hören, Schauen erzeugen. Viel wichtiger als eine bestimmtes dahinterliegende Geschichtsstruktur finde ich hier den „Point of View“, die Orientierung der Geschichten an der aktiven Antwortbeziehung zwischen Unternehmen und Welt.
Es gibt aber auch noch ein viertes Moment:
Aber da geht es den Resonanznarrativen wie der Heldenreise und letztlich wie allen Geschichten: Ob sie das Publikum erreichen und was sie in den Köpfen auslösen, bleibt letztlich ungewiss. Und das macht schließlich ja auch ein Teil der Magie von Geschichten aus.
Momentan steht Resonanz noch nicht im Zentrum von Unternehmenskommunikation. Aber stellt euch vor, wenn es so wäre. Was für eine Art von Beziehung zwischen Unternehmen Mitarbeiter und Kunden hätten wir in Zukunft?
In einem meiner nächsten Blogartikel möchte ich euch von einem konkreten Fall aus der Praxis berichten, bei dem ich bei der Entwicklung einer Story für einen Kunden mit der Heldenreise an Grenzen stieß und wie und warum wir uns stattdessen für eine Resonanzgeschichte entschieden haben.
Aber zunächst geht es hier bald weiter mit Teil drei und einem anderen spannenden Erzählansatz: den Jointly told Tales.
Bis dahin freue ich mich über eure Kommentare, Ideen und Einschätzung.
Mit herzlichem Gruß,
Karin Thier
Bild: Adrianna Calvo über Pexels
Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag. (https://www.amazon.de/Resonanz-Soziologie-Weltbeziehung-Hartmut-Rosa/dp/3518587129/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1550743949&sr=1-2&keywords=Hartmut+rosa)
Rosa. H. (2018). Unverfügbarkeit. Residenz Verlag. (https://www.amazon.de/Unverf%C3%BCgbarkeit-Unruhe-bewahren-Hartmut-Rosa/dp/3701734461/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1550743949&sr=1-1&keywords=Hartmut+rosa)
Hartmut Rosa: „Resonanz statt Entfremdung: Zehn Thesen wider die Steigerungslogik der Modere“. Text online verfügbar unter: (http://www.kolleg-postwachstum.de/sozwgmedia/dokumente/Thesenpapiere+und+Materialien/Thesenpapier+Krise+_+Rosa.pdf)
Auch auf YouTube gibt es viele Vorträge von Hartmut Rosa zu sehen. Z. B.: Tele-Akademie: Prof. Dr. Hartmut Rosa – Sinnsuche und Resonanzbedürfnis Doku (2018) https://www.youtube.com/watch?v=kEtDQd8tvRw