Als ich letzten Freitag gegen 20:30 Uhr den oe-tag verlasse, ist die Party im vollem Gange. Auf meinem Weg zur U-Bahnstation am Checkpoint-Charlie schlägt mir die kalte Luft entgegen und die gedämpften Geräusche der Straße lassen die vielen Eindrücke und Erlebnisse, die in meinem Kopf pulsieren, noch lauter und präsenter erscheinen. Was für ein reicher, intensiver Tag liegt hinter mir.
Schon der erste Eindruck am Morgen beim Eintreffen im Forum Factory war besonders: das liebevoll vorbereitete Plenum, welches ein Gefühl vieler kleiner orientalischer Lagerfeuer vermittelte und ein entspanntes, freundliches Socius-Team, das sich mit beeindruckender Ruhe um alle Belange und Wünsche von uns WorkshopleiterInnen kümmerte. Die Socius GGmbH ist eine in Berlin ansässige Unternehmensberatung, die sich auf die Beratung von gemeinnützigen Organisationen spezialisiert hat und mit dem oe-tag am 23. November 2018 und dem Thema „Sensemaking + Storytelling in Organisationen“ auch ihr 20-jähriges Bestehen feierte.
Die Veranstaltung startete mit Chris Rogers und er tat, was wohl alle beim Thema Storytelling erwarten: er erzählte uns eine Geschichte! Als routinierter Storyteller gelang es ihm unmittelbar uns mit der kindlichen Freude zu bezaubern, die in uns erwacht, wenn jemand uns eine Geschichte mit vollem Einsatz von Sprache, Mimik und Gestik erzählt. Dreimal durften wir uns während des oe-tages an seinen Geschichten erfreuen. Wer einen Eindruck von seiner Kunst möchte: auf seiner Homepage gibt es Hörproben und sein neues Buch “The Teddy Bear Is Everywhere – A Story Beyond Borders” ist gerade erschienen. Auch möchte ich alle an Storytelling interessierten auf einen Fernsehbeitrag vom SWR in der Reihe Mensch Leute! aufmerksam machen, in der er über seine Arbeit als Geschichtenerzähler berichtet. Ausgestrahlt wird der Beitrag “Der Gaukler von Esslingen – Trubel auf dem Weihnachtsmarkt” am 10.12.2018 um 18:15 im SWR.
Anschließend übergaben Stephanie Bachmeir und Jacques Chlopczyk vom BeyondStorytelling-Team die „Storytelling-Fackel“ zum oe-tag, sozusagen von Veranstaltung zu Veranstaltung und brachten nochmal auf den Punkt: warum Storytelling? Warum gerade jetzt?
Der Startschuss war gefallen und nun hieß es für die rund 140 TeilnehmerInnen eine Entscheidung für einen der acht parallelen Workshops fällen. Nicht einfach, denn hier wurde ein breiter Bogen an Themen rund um Storytelling angeboten. Hier ein kurzer Überblick (für Interessierte wird es übrigens von einigen Workshops Audio- und Videomitschnitte geben):
Ich hatte das Vergnügen einen Workshop zum Thema „Learning Histories: Wie Organisationen aus Erfahrungsgeschichten lernen!“ anbieten zu dürfen. Nach einem theoretischen Input: Was sind Learning Histories und wie werden sie in Organisationen eingesetzt?, wurde es interaktiv: in Kleingruppen erstellten die Teilnehmer eine persönliche Ereigniskurve, erprobten sich im Führen eines „narrativen Interviews“ und erstellten eine „Mini-Erfahrungsgeschichte“. Es war schön zu beobachten, wie experimentiert wurde, Ideen entstanden und teilweise sogar eine Art spontanes Peercoaching in den Gruppen entstand. Wer mehr über die Learning History-Methode wissen möchte: hier der Link zum Buch.
Nach einem leckeren Mittagessen am mobilen Kebab-Stand, welcher sein Zelt vor dem Forum Factory für uns aufgeschlagen hatte, kam die nächste Herausforderung: Für welche Session in der zweiten Workshoprunde entscheiden? Diese spannenden Themen machten es uns schwer:
Mich sprach ein Thema sofort an: Welchen Sinn machen Zahlen? In der Welt des Storytelling spielen Zahlen, Daten und Fakten kaum eine Rolle. Viel mehr soll Storytelling ja ein Pendant zu dieser nüchternen Welt sein. Wie Yin und Yang sozusagen und jetzt wollte man uns im Workshop vom Gegenteil überzeugen. Außerdem wurden uns unveröffentlichte, streng geheime Kennzahlen aus den Jahresberichten der ersten Geschäftsjahre von Socius versprochen. Ich war gespannt.
Zunächst präsentierte uns Erhard Fitzner die Zahlen einer diakonischen Einrichtung. Er berichtete, wie diese ihm sozusagen die Geschichte des desaströsen Zustandes der Diakonie erzählten und wie er wiederum die Zahlen so aufbereitete, dass sich den Schwestern die schonungslose Zukunftsgeschichte der Diakonie klar offenbarte. Ja, auch mit Zahlen lassen sich Geschichten erzählen, wenn auch nicht immer schöne.
Als dann Rudi Piwko, der Gründer von Socius, uns die Geschäftszahlen verschiedener Jahre von Socius austeilte und uns bat zu überlegen, was diese für uns aussagen, waren es zunächst einmal einfach nur Zahlen zu einem Unternehmen, welches sich entwickelt und verändert. Im Geschäftsbericht, den er uns anschließend aushändigte, wurde die Entwicklung von Socius schon deutlicher und als Rudi Piwko schließlich begann, die Hintergründe der Zahlen zu erzählen, füllte sich das Ganze mit Leben. Beispielsweise, als er uns berichtet, wie er sich vor der Entscheidung Socius in eine paritätische und kollegiale Leitung zu überführen drei Monate mit Hund und Zelt auf eine Wanderung zurückzog. Solche Geschichten lassen unmittelbar die Seele eines Unternehmens spürbar werden.
Zum Abschluss des offiziellen Teils des oe-tages saßen wir wieder alle um das Plenums-Lagerfeuer und ließen uns durch das von Yannis Angelis und Susanne Conrad charmant moderierte “Harvesting” des Tages führen, wobei wir mit der Hilfe von Dixit-Karten die Veranstaltung, unsere Emotionen und Lehren auf den Punkt brachten.
Ob die anschließende Party dann tatsächlich noch bis um 2:00 Uhr nachts ging, wie Andreas Knoth und Ralph Piotrowski angekündigt hatte, wer weiß…
Ich sage dem Socius-Team vielen Dank für diesen wundervollen Tag und wünsche Socius weitere 20 erfolgreiche Jahre!
Mit liebem Gruß Karin Thier
Fotos: Jürgen Scheer (www.juergenscheer.com)