Nachdem wir uns in den letzten Blogbeiträgen ja schon mit den Erwartungen an das Storytelling der Zukunft (siehe hier) und mit den Chancen des digital Storytellings für (gemeinnützige) Organisationen (siehe hier) beschäftigt haben, geht es heute konkret darum, wie digitales Storytelling überhaupt funktioniet, welche Schritte dazu notwendig sind und welche Regeln es beim digitalen Erzählen zu beachten gilt. Diana Krebs hat sie für uns zusammengestellt. Eines stellt sie aber gleich zu Anfang:
Eine digital erzählte Geschichte muss noch lang keine gute Geschichte sein.
Das Center for Digital Storytelling in Berkley, Kalifornien beschäftigt sich seit über 20 Jahren damit, persönlichen Geschichten einen digitalen Rahmen zu geben. Mit einer Sieben-Schritte-Methode führen die Storyteller zur digitalen Form ihrer Geschichte hin (Joe Lambert, DigitalStory – Capturing Lives, Creating Community, Routledge, 4. Auflage, 2013).
“Was ist meiner Meinung nach die Bedeutung dieser Geschichte?” Wer zu einem tieferen Kern einer Geschichte vordringen möchte, stellt sich diese Frage. Welche Erkenntnisse hat der Erzählende aus dem Erlebten gezogen? Die Beantwortung dieser Frage gibt einer Geschichte die packende Authentizität, die letztlich den Zuhörer in den Bann zieht. Wenn wir unsere Geschichten erzählen, laufen wir somit nicht Gefahr, uns in vielleicht weniger interessanten Rahmendaten wie Datum, Namen und Ort zu verheddern.
Beispiel Pain/a digital story by Anh Vuong (anzusehen bei youtube):Eine junge Frau erzählt in ihrer Geschichte von ihrer liebevollen Beziehung zu ihrem Vater. Eines Tages erhält die Familie die Diagnose, dass der Vater schwer erkrankt sei. Eventuell unheilbar. Die Tochter könnte nun vom Krankheitsverlauf erzählen, von den endlosen Behandlungen in sterilen Krankenhauszimmern. Aber stattdessen erzählt sie in ihrer Geschichte von Schmerz: jener, der die Angst, ihren Vater zu verlieren, ausgelöst hat; der Schmerz, der ihrer Familie dabei hilft, mit der Krankheit umzugehen; der die Mutter veranlasst, nach alternativen Heilmethoden zu suchen. Sie erzählt von dem Schmerz, der die Familie noch näher zusammenbringt. Am Ende der Geschichte kommt die Tochter zu dem Schluss, dass Schmerz etwas Gutes sei.
Es kann unerwartet passieren: Wir erzählen eine Geschichte, hatten sie uns bereits im Kopf zurechtgelegt – und plötzlich werden wir von Emotionen überwältigt. Ebenso, wie eine Geschichte Erkenntnisse bereithält, kann sie eben auch verborgene Gefühle zu Tage fördern. Welche Gefühle haben wir also, wenn wir an die Geschichte denken? Empfinden wir Trauer, Freude oder Beklemmung?
Gefühle sind eine komplexe Sache und verleihen daher Komplexität. Ohne Gefühle übergehen wir vielleicht die Tatsache, dass es mehrere Schichten in unserer Geschichte gibt. Sich seiner Emotionen in der eigenen Geschichte bewusst zu werden hilft ebenso, darüber nachzudenken, wie Außenstehende an die Geschichte andocken.
In den meisten Geschichten kommt es zu einem Wendepunkt. Entweder der Erzähler bewegt sich auf diesen zu, oder der Moment sich auf ihn. Um diesen Moment der Veränderung zu finden, ist es wichtig, sich folgende Fragen zu stellen:
Ein gelungenes Beispiel dafür ist die digital Story: Lost and found / von Susan Becker (siehe youtube hier)
Der erste Wendepunkt in der Geschichte findet bei Min 2:26 statt. Nachdem die Erzählerin innerhalb nur weniger Jahre ihre Familie verloren hat, fasst sie den Beschluss, sich eine Arbeit zu suchen, die ihr wirklich Spaß macht. Der zweite Wendepunkt ist, als die Erzählerin durch ihre Arbeit begreift, dass sie es versäumt hat, ihre Familienmitglieder nach ihren Geschichten zu fragen. (von 2:50 min an).
Wenn wir später die Puzzelteile der eigenen Geschichte zusammenfügen, so wird es interessant, wo wir im Ablauf der Geschichte den Wendepunkt platzieren. Häufig wird er in der Mitte der Erzählung gesetzt. Aber wie wirkt eine Geschichte, wenn der Wendepunkt beispielsweise gleich am Anfang der digitalen Geschichte gesetzt wird? Es lohnt sich, hier ein wenig mit dem Moment der Veränderung zu spielen, um die Wirkung zu testen.
Eine digitale Geschichte lebt natürlich von Bildern. Aber welche Bilder sind die richtigen? Wer eine Familiengeschichte erzählen will, der besitzt vermutlich Unmengen an Schuhkartons mit Fotografien und oder Videofilmen. Smartphone-Kameras tun ihr weiteres, neues Filmmaterial zu horten. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass wir zuerst möglichst viele Bilder in unsere Geschichte integrieren möchten.
Wie können wir hier mehr Struktur einbringen? Als erstes geht es darum, die eigene Geschichte zu sehen: Welche Bilder tauchen vor dem inneren Auge auf, wenn man an sie denkt? Welche, wenn der Geschichtenerzähler an den Moment der Veränderung denkt? Welche für weitere Aspekte der Geschichte? Und warum ausgerechnet diese Bilder? Und sind diese Bilder explizit oder implizit? Explizite Bilder bilden exakt den Erzählverlauf einer Geschichte ab. Der Autor der Geschichte erzählt von seinem ersten Auto: Das erste Auto wird als Fotografie abgebildet. Implizites Bildmaterial hingegen kann die Geschichte auf eine weitere Bedeutungsebene führen. Hier wird Bildmaterial benutzt, das nicht unmittelbar in Verbindung mit dem steht, was der Autor gerade erzählt. Wer beispielsweise die Geschichte eines Umzugs erzählt, könnte statt einer Photographie des Hauses, in dem man aufgewachsen ist und das man jetzt zurücklässt, den Apfelbaum hinterm Haus zeigen. Dieser Apfelbaum könnte symbolisch für das Gefühl stehen, das man für dieses Haus hegt.
Ganz gleich, ob man auf explizites oder implizites Bildmaterial zurückgreift: Es ist wichtig, sich die eigene Geschichte vor dem inneren Auge zuerst einmal vorzustellen. Letztendlich werden Bilder oder Filmmaterial zum Mittler zwischen Erzähler und Publikum.
Die eigene Stimme, ein Musikstück zur Untermalung oder Alltagsgeräusche wie Flugzeuggetöse oder tobende Kinder können den ganz eigenen Ton einer Geschichte zusätzlich unterstreichen. Durch die eigene erzählende Stimme wird eine echte und tiefe Verbindung zur Handlung geschaffen, und die Zuhörer tritt anders mit der Geschichte in Verbindung. Dabei sollte man sich stets die Frage stellen: Unterstreichen die auditiven Mittel die Geschichte oder lenken sie von ihr ab? Bei der Nutzung von fremder Musik, sollte unbedingt das Urheberrecht beachtet werden.
Wie soll die Geschichte strukturiert werden? Und wie arbeitet der Erzähler Bilder und Audio in diese Struktur ein? Dafür ist ein zweistufiges Vorgehen sinnvoll:
Im siebten Schritt geht es nun darum, die Geschichte öffentlich zu machen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sich noch mal ins Gedächtnis zu rufen, welchen Zweck man mit der Geschichte ursprünglich verfolgte und welchem Publikum man sie vorstellen möchte. So kann man entscheiden, welche Kontextinformationen als Zusatzbeigabe zur digitalen Geschichte geliefert werden sollte. Sind es die eigenen Freunde, denen man die Geschichte vorstellen möchte? Dem Lebenspartner? Die Eltern? Wird es kleines, privates Screening der Geschichte geben? Oder möchte man die Geschichte über eine Videoplattform wie youtube oder vimeo präsentieren? Diese zusätzlichen Informationen sagen zum Beispiel etwas über den Erzähler aus oder gibt weitere Details zur Geschichte preis. Sie stellen die Geschichte also in einen weiteren Kontext, und können innerhalb oder außerhalb der Geschichte präsentiert werden. Innerhalb der Geschichte sind diese häufig erklärende Worte am Anfang oder am Ende der Geschichte. Außerhalb können dies einleitende Worte vor Beginn der Präsentation sein oder – sollte man sich für die Präsentation auf einer Videoplattform entscheiden – in Form eines geschriebenen Kommentars. Auch persönliche Informationen über den Storyteller und der Motivation, diese Geschichte zu machen, geben der Geschichte ebenfalls einen weiteren Rahmen.
Für welche Form von Präsentation der Geschichte man sich auch entscheidet: Selbst der geübteste Geschichtenerzähler ist nicht davor gefeit, dass er noch finale Änderungen an seiner Geschichte vornimmt, wenn er sich sein Publikum vor Augen ruft. Aber genau das ist (digitales) Storytelling: eine Roadtrip, und hinter jeder Biegung wartet ein neues Abenteuer.
Sich dabei von erfahrenen (digital) Storytellern anleiten zu lassen, ist natürlich das Beste. Wer jedoch nicht die Möglichkeit, aber trotzdem seine Geschichte erzählen möchte, für den stellen wir im nächsten Beitrat eine Art „Digitale Storytelling-DIY-Box zusammen. Ihr dürft gespannt sein!
Viele Grüße bis dahin schicken Karin Thier und Diana Krebs