Manchmal reicht ein einziges Erlebnis, oder wie auf den „Berlin Change Days“ ein Workshop mit dem international tätigen Organisationsberater Eugenio Molini und seiner Kollegin Miriam Moreno, um einen anderen Blick auf die Welt zu bekommen: die beiden brachten uns anhand von Fallbeispielen spielerisch einen systemischen Zugang auf Organisationen nahe, der mich seitdem nicht mehr loslässt.
Stellen Sie sich folgende reale Situation vor:
Ein Großunternehmen aus der Automotive-Branche rollt einen Workshop zur Steigerung der Awareness für das Thema „Compliance“ aus. Allein die Tatsache, einen „Mindset“-Workshop mit allen Führungskräften (immerhin rund 400 Personen) aufzusetzen, ist eine sehr gute Idee. Denn die übliche Art und Weise, Compliance an die Belegschaft zu vermitteln, sind E-learning-Einheiten, die über Wertgrenzen und einzuhaltende Prozesse informieren. Obwohl das Unternehmen also ganzheitlicher denkt und die innere Haltung zu Compliance als wichtige Größe für Veränderungsprozesse wahr- und ernst nimmt, und obwohl das Konzept des Workshops nach allem Dafürhalten sehr gut und stimmig aufgesetzt ist, um tatsächlich mit dem Mindset rund um Compliance zu arbeiten – dennoch gelingt es dem Unternehmen nicht, die Haltung der Führungskräfte maßgeblich für Compliance aufzuschließen.
Warum nicht? Was liegt hinter dem Offensichtlichen, hinter den sichtbaren Stellgrößen wie etwa die Gestaltung des Workshops, was ein sich Einlassen auf Compliance verhindert? Auf welcher „Scale of system“, auf welcher Skalierung des Systems wird diese hemmende Kraft verortet, und wird auch auf der gleichen scale of system eine Intervention geplant?
Solche Fragen stellten uns Eugenio und Miriam und zeigten uns die Vielfalt an Skalierungsmöglichkeiten, an Möglichkeiten, ein System größer oder eben kleiner vernetzt wahrzunehmen: achte ich auf der intra- und interpersonalen Ebene auf die Haltungen der einzelnen Mitarbeiter und deren Kommunikation/Kooperation untereinander? Oder betrachte ich ein System eher auf der organisationalen Ebene der Teams und Abteilungen und deren Abhängigkeiten/hierarchische Strukturen untereinander? Spielt die regionale, nationale, oder gar globale Aufstellung und Vernetzung des Unternehmens eine Rolle für meine geplante Intervention?
Das Großunternehmen etwa nahm auf der Ebene der Mitarbeiter (intrapersonale Skalierung) ein „Symptom“ wahr, nämlich eine mangelnde Bereitschaft, Compliance-konform zu handeln. Also war die logische Antwort darauf eine Intervention auf der Ebene des Individuums – der besagte „Mindset-Workshop“ wurde ersonnen. Ich lasse mal hier die kritische Frage bewusst außer Acht, inwieweit ein 1-tägiger Workshop auch noch die leiseste Chance hat, am Mindset der Betroffenen eine Veränderung zu triggern – das ist ein wichtiger Einwand, doch darum geht es bei der Theorie der „Scales of System“ vorerst nicht.
Es geht vielmehr erst einmal darum, zu erkennen, wo genau die Ursache für eine Störung verortet ist und wo dementsprechend eine Intervention greifen muss. Das Großunternehmen hatte sich auf die intrapersonale Skalierung des Individuums eingeschossen und so auf der organisationalen Skalierung „Team/Abteilungen“ eine maßgebliche Ursache schlicht nicht wahrgenommen: nur die obersten Führungskräfte werden in den Zielvereinbarungen nach dem Maßstab „Compliance-Konforme Performanz der Bereiche“ gemessen. Alle mittleren und handwerklichen Führungskräfte aber werden nach dem Maßstab gemessen, wie effizient, schnell und wie günstig sie Baustellen oder andere Projekte abwickeln. Es stehen daher zwei vollkommen widersprüchliche Botschaften im Raum: „Arbeite nach den Compliance-Regeln!“ versus „Arbeite möglichst schnell und günstig!“. Da nur die 2. Botschaft auch in den Zielvereinbarungen konkret als zu erreichendes Ziel festgelegt worden war, und dieses natürlich oft in Widerspruch zu Compliance-konformen Handeln gerät, war es nur logisch, dass die Führungskräfte im mittleren Management und die Meister sich nicht für Compliance erwärmen konnten.
Wenn ich also eine Organisation nicht auf allen möglichen „scales of system“ betrachte, kann es schnell passieren, dass ich eine falsche Intervention setze und keine Veränderung daraus resultiert.
Eugenio und Miriam machen es durch ihre Fallbeispiele und dem dahinterliegenden GAIT-Modell sehr einfach, diesen systemischen und vielfältigen Blick auf Organisationen anzuwenden zu lernen. Sie kommen nach Deutschland und werden alle Interessierten in einem 2,5-Tages-Workshop in die Kunst der Organisationsentwicklung auf der Grundlage eines spannenden systemischen und feldtheoretischen Modells einführen.
Wir sind als Teilnehmende mit dabei und freuen uns über weitere Interessenten. Mehr Informationen zu den Dozenten, zum GAIT-Modell und zur Agenda sowie eine Möglichkeit der Anmeldung finden Sie auf den Seiten des Heidelberger Zentrums für systemische Forschung und Beratung zsfb, unser Kooperationspartner und Gastgeber für den Workshop am 07.-09. September 2017.
Wir freuen uns auf den Workshop und auf die intensive Denkarbeit mit interessanten Teilnehmern,
beste Grüße sendet
Christine Erlach