Frankfurt Flughafen, Dienstagmorgen, unsere Züge sind pünktlich. Wir treffen uns wieder einmal zu einem “Intensivtag in der Mitte von Deutschland”. Diesmal geht es um die letzten Vorbereitungen eines neuen Projektes, das nächste Woche starten wird:
Unsere Aufgabe: Heben, Dokumentieren und Verbreiten des Erfahrungswissens eines Ingenieur-Projekt-Teams, das sich ein Jahr lang der Aufgabe widmete, den Bau einer Fertigungshalle an einem neuen Produktions-Standort zu planen und vorzubereiten.
Es geht also um Projekt Debriefing, um das Festhalten und Dokumentieren von Lessons Learned, Best Practise und alle jenen kleinen und großen Erfahrungen, die das Team in dieser Projektphase angesammelt hat. Denn: eine solche Fertigungshalle baut das Unternehmen nicht jeden Tag, vielleicht wird das jetzt gewonnene Wissen erst in 20 Jahren wieder benötigt. Daher muss man das relevante Wissen, das in den Köpfen der Mitarbeiter schlummert, in eine für andere zugängliche und dokumentierbare Form bringen.
Der Storytelling-Ansatz als methodische Antwort auf diese Aufgabe hat sich in den letzten 10 Jahren zu einem allgemein anerkannten Weg etabliert, aus mehreren Gründen:
- die Erfassung von Erfahrungswissen mit narrativen Interviews gibt dem Wissensgeber den größtmöglichen Raum, seine Erfahrungen zu schildern: warum ist dies entscheidend? Nun, jede Frage öffnet einen Antwortraum, doch wer sagt uns, dass das relevante Wissen nicht außerhalb dieses Antwortraumes liegt? Zumal Erfahrungswissen in vielen Teilen implizit vorliegt, also nur durch Umwege und durch Assoziationsbrücken erschlossen werden kann. Daher ist es sinnvoll, erzählen zu lassen und zuzuhören, statt mit vielen konkreten Fragen zu versuchen, die Erhebung von Erfahrungswissen zu steuern.
- die Erzählungen einzelner Projekt-Mitglieder überlappen sich nur wenig, denn jede Person hat andere Schwerpunkte und Wahrnehmungen, was in einem Projekt erfolgreich oder eben nicht erfolgreich verlief. Die Multiperspektivität der Erzählungen liefert Hinweise auf verborgene Wirkfaktoren, die erst durch den Vergleich der unterschiedlichen (hierarchischen) Sichtweisen auf das Projekt sichtbar werden.
- viele methodische Ansätze denken den Wissenstransfer-Prozess nicht zu Ende: man geht davon aus, dass Wissen, das in IT-gestützten Wissensspeichern (von Datenbanken bis hin zu Wikis) steht, auch genutzt wird. Dem ist bei Weitem nicht so! Daher muss ein “ordentlicher” Wissens-Transfer-Prozess alle drei Phasen – die Erfassung, die Dokumentation und die Verbreitung in Unternehmen – abdecken. Der Storytelling-Prozess bettet die gewonnenen Wissensschätze aus den Köpfen der Projekt-Teams in didaktische Verbreitungs-Konzepte ein, angefangen vom Transfer-Workshop bis hin zum Ausbilden von unternehmensinternen “Storytellern”, damit das wertvolle Erfahrungswissen weitergegeben und so weitergenutzt wird.
Karin Thier & Christine Erlach in Frankfurt
Und so sitzen wir also in Frankfurt und freuen uns auf ein neues Debriefing-Projekt mit Storytelling. Zumal wir in jüngerer Zeit vermehrt folgender Frage nachgehen:
Warum sollte man eigentlich einen Wissens-Transfer-Prozess in den drei Phasen Erfassung – Dokumentation – Verbreitung streng seriell angehen? Wäre es nicht fein, schon während der narrativen Interviews eine Dokumentation der Erzählungen anzulegen?
Wir werden berichten, welche weiteren Erfahrungen wir mit dem simultanen Erfassen und Dokumentieren von Erfahrungswissen noch sammeln werden – so viel schon vorab: der Smartpen ist in diesem Zusammenhang ein von uns sehr geschätztes Werkzeug!
Ein schönes Wochenende mit Sonne und Wärme wünscht Christine Erlach