Das Thema „Authentizität“ geistert ja seit geraumer Zeit in vielen Medien herum, vor allem wenn es um überzeugende Kommunikation geht. Dabei werden wir alle ständig dazu aufgefordert, authentischer zu sein oder zumindest authentischer zu wirken. Denn überall ist zu hören:
Sich einfach so zu geben, wie man ist, das ist nämlich gar nicht so einfach. Vieles haben wir schlicht schon fast verlernt. Hier gilt es, sich auf die Suche zu machen, wiederzuentdecken und zu beleben.
Jemand, der sich seit über 25 Jahren mit diesem Phänomen beschäftigt, ist Dr. Rolf Breuer. Er berät und coacht namhafte Fernsehschaffende und Führungskräfte bei ihrem authentischen Auftritt. Sein Spezialgebiet ist die Kraft des Authentischen in rhetorischen Situtionen und die Kommunikation in schwierigen Gesprächen. Im Gespräch mit ihm wollen wir uns gemeinsam in den nächsten Wochen dem Mythos Authentizität nähern.
NARRATA Consult: Für viele ist der Begriff Authentizität ja doch eher etwas nebulös. Wie würdest Du „authentische Kommunikation“ konkret beschreiben?
Rolf Breuer: Du hast es ja schon angedeutet: Seit einigen Jahren ist “Authentizität” ein Modethema, nicht nur, aber besonders auch in kommunikativen Situationen. Und dabei durchaus mit einem sehr ernsten, seriösen Hintergrund: Wie gelingt Kommunikation am besten? Großes Fragezeichen dabei, was „authentisch sein“ denn genau bezeichnet. Klar, das griechische Ursprungswort wird im Deutschen mit “echt” oder „ursprünglich“ gleichgesetzt – aber was ist “echt” oder „ursprünglich“? In meiner Arbeit als Rhetorik- und TV-Coach hat sich über die Jahre eine recht einfache Beschreibung ergeben: lebendig + glaubwürdig = authentisch. Und dabei spielt auch das Erzählen als Haltung samt Geschichten eine ganz wesentliche Rolle.
NARRATA Consult: Welche Bedeutung hat denn die Haltung, mit der wir etwas kommunizieren, dafür, ob wir authentisch wirken oder nicht?
Rolf Breuer: Ich will da mal ein Beispiel erzählen: Ein Workshop mit Fernsehmoderatoren. Ein Moderator, sehr fit, sehr erfahren, zeigt Ausschnitte aus seiner Sendung im Ersten: anspruchsvolle Wirtschaftsthemen. Hinterher erinnert sich keiner von uns Workshop-Zuschauern so recht an die besonderen Aussagen seiner Moderation, die uns auf die Filmbeiträge neugierig machen sollten. Bei der Analyse stellen wir fest: abstrakter, schwieriger Text Richtung Schriftdeutsch (nicht gut fürs Hören geeignet), gepaart mit steifer äußerer Haltung – unnatürlich, kaum Mimik, keine Gesten, eine eher monotone Stimme. Auf Nachfragen stellt sich heraus: Die äußere Haltung folgte bei dem Moderator einer steif-seriösen inneren Haltung. Denn er war fest davon überzeugt, nur auf diese Weise kompetent zu wirken.
So wie er greifen viele Menschen in schwierigen kommunikativen Situationen auf eine künstlich-steife „öffentliche“ Haltung zurück, die sie kaum trainiert haben – und präsentieren ihr Anliegen dadurch denkbar schlecht. Sie verlieren ihre Natürlichkeit, ihre Ausstrahlung, ihre Authentizität, ihre normale Lebendigkeit – und damit auch das Vermögen, intensiven Kontakt zum Gegenüber oder zum Publikum zu bekommen und einfühlsam-kreativ auf Unerwartetes zu reagieren.
NARRATA Consult: Warum verlassen wir uns in schwierigen Situationen denn lieber auf ein steifes, förmliches Auftreten als auf Lebendigkeit und Natürlichkeit?
Rolf Breuer: Das liegt vor allem daran, dass wir Menschen nun einmal darauf angewiesen sind, bewusst oder unbewusst vieles im Leben von Modellen, von Vorbildern zu übernehmen – und zwar von solchen, die wir als erfolgreich ansehen. Darunter gibt es viele mit “künstlicher Kompetenzhaltung” – Manager, Politiker, Anwälte und Fernsehmoderatoren genauso wie Pfarrer, Lehrer, Professoren und Ärzte. Und sie „kopiert“ man umso eher, je mehr man in bestimmten Situationen sich seiner selbst nicht sicher ist und denkt, was andere wohl darüber denken, wie man auftritt.
NARRATA Consult: Wie kann es gelingen, sich aus dem Korsett des Kopierens einer „künstlichen Kompetenzhaltung“ zu befreien?
Rolf Breuer: Es gibt einen gut funktionierenden Trick, um dieses Korsett aufzubrechen. Am Beispiel des Fernsehmoderators lässt sich das gut erklären. TV-Workshop, letzter Tag. Nach vielen heftigen Diskussionen mit dem Moderator schließlich praxisnahes Üben im Fernsehstudio, zufällig mit der gleichen Studiobesatzung wie bei seiner realen Sendung. Er präsentiert wieder eine recht “ausstrahlungsfreie” Moderation, mir platzt der Kragen (ein wenig echt, hauptsächlich gespielt): “Jetzt erzählen Sie es doch einfach nur ihrer Oma!” Er, genervt: “Dann mach ich das eben!” Und – Überraschung – in seinem Ärger vergisst er seine steif-seriöse Haltung, stellt sich offenbar irgendwie seine Oma vor und plaudert los. Mit stark modulierender Stimme und passenden Gesten. Gleich daneben der Kameramann. Und ohne dass ich ihn präpariert hätte, ruft er spontan: “Das war jetzt richtig gut!”
Anders gesagt: Quasi auf Knopfdruck ist es dem Moderator gelungen, viel authentischer zu wirken. Er erzählte einfach. Und benutzte deshalb eine einfache, konkrete Sprache; mimisch, gestisch und stimmlich war der lebendige Mensch hinter den Sätzen zu spüren – voll engagiert mit der Absicht, uns auf einen Filmbeitrag neugierig zu machen.
Damit beenden wir für heute unseren ersten Teil der „Authentizitäts-Blogreihe“. Im zweiten Teil werden wir uns gemeinsam mit Rolf Breuer u. a. mit dem Thema beschäftigen, wie man es schaffen kann Fachfremden etwas spannend zu erzählen.
Mit vielen Grüßen Karin Thier & Christine Erlach