Stellen Sie sich vor, Sie sind verantwortlich für ein Entwicklungsteam bei einem Automobilzulieferer, das, sagen wir mal als ein Beispiel, eine neue Kopfstütze für den neuen Audi Q4 entwickeln soll. Natürlich – wie üblich im Projektgeschäft – mit wenig Zeit, unklaren und sich im Projektverlauf ändernden Kundenwünschen und dem Workload im Nacken, der durch all die anderen Projekte, internen Meetings, Schulungen, ISO-Normen und sonstigen Zeitfresser und Anforderungen entsteht, die ein großes Unternehmen so für ein Projekt-Team im Petto hat.
Nun kommt jemand auf Sie zu und sagt Ihnen: “ich kann Dir einen Ansatz zeigen, der Dich aus diesem “auf Druck von außen reagieren” und dem Hinterherhinken zu Deinen To Dos herausholen wird. Du und Dein Team werden dem Kunden alle 10 Tage konkrete Teilergebnisse liefern und Ihr werdet das Projekt mit höherer Effizienz und Qualität und zugleich in einem selbstbestimmten, hochmotivierten Team-Umfeld abwickeln!”
Also, ich für meinen Teil würde sehr neugierig werden.
Daher nahm ich die Einladung von Heinz Erretkamps und Roland Frey, an einem Scrum Basic Training bei Johnson Controls teilzunehmen, gerne an – schließlich hatte ich von ihnen schon auf dem Bibcamp in Köln im März einen sehr spannenden Einblick in die Methode Scrum erhalten.
Und so saß ich am 12.04.12 inmitten eines Entwicklungsteams bei Johnson Controls und erlebte hautnah mit, wie das Team und dessen Product Owner (Pendant zum Projektleiter) in nur 4 Stunden eine neue Welt betraten und in die Lage versetzt wurden, den einst steinigen Weg zum fertigen Produkt fortan ganz anders (und deutlich effizienter) gemeinsam zu begehen.
Das Bild der “neuen Welt” ist nicht nur so dahin gesagt, denn die Aufgabe der beiden Trainer war tatsächlich, neben der Vermittlung der Grundprinzipien von Scrum den Mindset der Betroffenen zu verändern – eine ungleich schwerere Aufgabe, denn es ging um vermeintliche Wahrheiten wie:
“Um den Kunden zufrieden zu stellen, muss ich sofort reagieren. Klar, dass ich dann viele Aufgaben zugleich bearbeiten muss!”, oder:
“Dass man im Projektverlauf unter Zeitdruck und Stress gerät und die Milestones oft aufgrund von äußeren und inneren Störfaktoren nicht erreichen kann, ist doch ganz normal!”
Nun, dass dies ganz und gar nicht normal ist und man mit recht einfachen, aber an den Grundfesten schürfenden Maßnahmen ein völlig anderes Projektmanagement aufstellen kann, war der große Lerneffekt für die Teilnehmer.
Im Grunde ist Scrum (für viel mehr Details als hier siehe z.B. Wikipedia) nämlich kein Hexenwerk, denn es besteht im Wesentlichen aus der in der Softwareentwicklung entstandenen Idee, die Projektplanung eines Entwicklungsprojektes zu zergliedern – und zwar, und dies ist ein neuer Gedanke, nicht wie gehabt in Milestones und Ziele mit Prio A und Prio B und so fort, sondern WIRKLICH zu zergliedern:
So ein “Sprint” hat eine feste Struktur aus einer Planungsphase, den täglichen Meetings vor der Scrum Wall, einer Reflektion des Projektes in der Mitte und einem Review am Ende.
Und nach den 2 Wochen? Nun, dann folgt Sprint 2, dann Sprint 3, und so fort – das Ergebnis: alle 2 Wochen gibt es konkrete Teilergebnisse, Grund zum Feiern, die Möglichkeit, die weitere Planung auf neue Kundenanforderungen anzupassen und den Eintritt in den mit der neuen Planung beginnenden nächsten Sprint – so gibt Scrum einen stabilen Prozess in einem instabilen Projektumfeld.
Was mich so an Scrum begeistert hat? Scrum vereint einige hochwirksame Ansätze aus dem Wissensmanagement und den Überlegungen zur Lernenden Organisation, die Teams und das gesamte Unternehmen dabei unterstützen sollen, dass “Wissen fließen” kann, etwa:
Scrum kann also nicht nur seine Kernaufgabe, Struktur und Effizienz in das Projektgeschehen zu bringen, sehr gut erfüllen, es kann darüber hinaus auch dazu beitragen, dass “Wissen fließen” kann – und die Leute gerne arbeiten!
Die beiden Trainer haben dem Entwicklerteam und mir einen wunderbar spannenden, sehr lernintensiven Tag geschenkt – gerne wieder!
Alles in allem lohnt also Scrum weitere Gedanken dazu – ich stelle mir für die nächsten Nachdenk-Runden die Frage, inwieweit es nicht für alle möglichen Situationen, in denen “Wissen fließen” soll, auch außerhalb des Kontextes Projektmanagement, ein guter Ansatz sein kann.
Eine schöne Woche mit klar definierten Aufgaben und der Möglichkeit, aus ihnen zu lernen, wünscht
Christine Erlach