Die letzten Tage (Mai 2012) standen ganz im Zeichen des Austausches zu neuen Wegen, das Wissen von Instandhaltern zum Fließen zu bringen: die am Montag mit einem Auftakt-Workshop von uns („Wissenssicherung mit Storytelling“, siehe mehr in eigenem Blog dazu) startende Tagung in Frankfurt widmete sich zwei Tage lang mit diversen Fachbeiträgen aus der Praxis dem Thema Wissensmanagement in der Instandhaltung und brachte rund 50 Führungskräfte und andere Wissensträger aus der Szene zusammen.
Eine weitere Schlussfolgerung: Wissensmanagement darf keine Insellösung sein, sondern muss strategisch geplant und verankert werden, klare Promotoren und Zielsetzungen haben und sowohl bottom-up als auch top-down initiiert und vorangetrieben werden. Letztlich sei es egal, welches Wissensmanagement-Modell oder –System man heranziehe, immer müsse man sich bewusst sein, dass man viel Arbeit ins Wissensmanagement stecken und dranbleiben muss. Doch es lohne sich, so der Tenor der Diskussion.
(An dieser Stelle ein kurzer Aufruf an die Tagungs-Teilnehmer: wir freuen uns um jede Ergänzung und jeden Kommentar zu dieser Zusammenfassung der Tagungsergebnisse!)
Überraschend fand ich vor allem das erste Fazit, weil das Unterfangen „Wissensmanagement in Unternehmen“ im vergangenen Jahrzehnt mehr und mehr im gleichen Atemzug mit IT-Lösungen genannt und realisiert wurde. Lange waren jene Stimmen, darunter auch wir von NARRATA, in der Minderheit, die auf die Bedeutung von Wissensaustausch im Dialog pochten und kritisch anmerkten, wie wenig geeignet Wissensdatenbanken für die Erfassung und Dokumentation von jenem Wissen ist, das verborgen ist, implizit vorliegt, zwischen den Zeilen, bzw. genauer: im Kopf der Experten und Projekt-Mitglieder liegt.
Dass ausgerechnet die Ingenieurs-Zunft rund um die Instandhaltung nun mehr oder weniger einhellig den Stellenwert von jenem Wissen in den Vordergrund stellt, das man gerade NICHT in expliziter Form dokumentiert vorfindet, ist insofern überraschend, dass diese Branche ganz besonders um fehlerfreies, sicheres und durchgängiges Fahren ihrer Anlagen bemüht ist und damit natürlich jede Menge an explizitem Wissen vonnöten ist und auch produziert wird, sei es das ingenieurtechnische Fachwissen, das Anlegen und Pflegen von Wartungs- und Fehleranalysen-Protokollen und vieles mehr. Die Notwendigkeit, solche Wissensbestände – oder besser Informationsbestände – anzulegen und zu nutzen, ist nach wie vor gegeben. Doch das machte den Teilnehmern der Fachtagung kein Kopfzerbrechen, wohl aber die Implikationen, die der demographische Wandel und der damit einhergehende Wissensverlust der älteren Mitarbeiter mit sich bringen (Referenten werden hier nicht in der Reihenfolge des Tagungs-Programms genannt):
Dr. Christian Kramer von Sasol Solvents etwa nannte in seinem Vortrag als eine Herausforderung die kaum mehr vorhandene Redundanz an Fachkompetenzen unter der Belegschaft – in vielen Bereichen gibt es nur noch einen einzigen Wissensträger/ Ansprechpartner / Verantwortlichen. Es wäre also von großer Wichtigkeit, das Fach- und Erfahrungswissen der Wissensträger an andere weiterzugeben.
Hans-Rüdiger Munzke, IdeenNetz, plädierte für ein breit angelegtes Ideenmanagement in Unternehmen, um den Wissensaustausch unter den Mitarbeitern zu fördern.
Dr. Friedemann Reim, Infoman, gab einen interessanten Überblick, welche web 2.0-Lösungen bereits in Unternehmen in welcher Form Eingang gefunden haben und betonte, dass die Interaktion der Mitarbeiter und das gemeinsame Aufbauen und Austauschen von Wissen in den IT-Anwendungen mehr und mehr in den Vordergrund treten werden – was weit mehr bedeutet, als ein Wiki aufzusetzen.
Martin Bergermann, Johnson & Johnson, stellte als eine mögliche Antwort auf den Wissensverlust eine ausgefeilte Qualifizierungs-Strategie der Bestandmitarbeiter für den gezielten Aufbau von Basis-, Fach- und Expertenwissen vor;
Dr. Steffen Simon, Bilfinger Berger Industrial Services, hatte die gleiche Stoßrichtung und berichtete u.a. über einen Pilot auf der Ebene der gewerblichen Instandhalter.
Peter Missal, Dow Olefin, brachte das Kern-Fazit der Tagung schon in seinem Vortragstitel auf den Punkt: „Wissens- und Erfahrungstransfer – Datenbanken und Systemlösungen ersetzen im Instandhaltungsablauf nicht die direkten Arbeitsbeziehungen der Mitarbeiter“.
Dr. Marcus Schnell und Andreas Palm, XERVON, zeigten in ihrem Vortrag die „Sonnenseite“ und die „Schattenseite“ von Wissensmanagement- Ansätzen, genauer: die beachtliche Liste an bereits implementierten WM-Tools auf der einen Seite und die Grenzen, die trotz flächendurchdringender Tool-Landschaft in der Praxis aufkommen, weil nun mal Menschen mit Menschen kooperieren müssen und es ein unendliches Ausmaß an Wissen in deren Köpfen gibt, das man nicht so einfach „abschöpfen“ kann.
Dr. Harald Schäfer, BASF SE, stellte anhand des wohlbekannten SECI-Modells von Nonaka und Takeuchi den BASF-Wissensmanagement-Ansatz aus der Helikopter-Perspektive vor und betonte, er habe dieses Modell als Herangehensweise für seine Organisation ausgewählt, um von vornherein den Stellenwert von implizitem Wissen und damit dem Fokus auf Methoden, die dieses zu heben und weiterzugeben imstande sind, in der Organisation zu verdeutlichen.
Mitten in diese Fachbeiträge der Instandhalter hinein setzten je ein Themenfokus pro Tagungs-Tag ein paar mehr Schlaglichter:
Der erste Fokus an Tag 1 stand unter dem Motto „Erfahrungswissen greifbar machen“ und gab uns von NARRATA Consult nach dem erfolgreichen Workshop-Einstieg am Vortag nochmals Gelegenheit, die Methode Storytelling zur Erfassung und Weitergabe von Erfahrungswissen vorzustellen.
Dirk Liesch folgte mit einem spannenden Beitrag zu einer schlanken Interviewmethode zwischen Experte und Nachfolger, sowie dem kleinen Bruder von BarCamps, bei ihm Ideentreff genannt. Und er bleib nicht nur beim Präsentieren stehen, sondern bat im Anschluss das Plenum, direkt mit ihm in einen Ideentreff einzusteigen zur Leitfrage, wer bereits praktische Erfahrungen mit dem Einsatz von Storytelling gemacht habe – und das mit den Regeln des BarCamps, also alle per „Du“ und in einer gleichberechtigten Grundhaltung.
Die Stimmung und Dynamik der Tagung wandelte sich enorm, da nun viele fortan beim „Du“ blieben und das Get-Together am Abend einen lustigen Ausflug nach Sachsenhausen nach sich zog.
Der Fokus des nächsten Tages stand ganz im Zeichen von virtuellen Arbeitsumgebungen für den Wissenstransfer, etwa in der Ausbildung oder für die Ablaufplanung in der Instandhaltung von Großgeräten:
Tina Haase, Fraunhofer Institut IFF, stellte eine interaktive 3D-Animation eines virtuellen Hochspannungsleistungsschalters vor, der mit Leitfragen, Best Parctise und beliebigen Navigationsmöglichkeiten die Azubis in einen authentischen Arbeitskontext bringt.
Dasselbe in ganz groß stellten Mark Eberlein und Wilhelm Stock, RWE Power, für die Instandhaltung eines Schaufelradbaggers aus dem Braunkohletagebau vor: der Austausch eines Kugellagers mit 20 Meter Durchmesser zum Beispiel konnte vorab ohne Gefährdung von Mitarbeitern oder Gerät am 3D-Modell geplant werden.
Wilhem Termath, BIT, gab einen fundierten Überblick über die Beschaffenheit und Besonderheiten von Erfahrungswissen und die damit einhergehenden didaktischen Herausforderungen, es zu heben und weiterzugeben. Die Triadengespräche standen als eine Methode im Vordergrund, die in der Lage seien, dieses besondere Wissen greifbar zu machen.
Es folgte die schon eingangs erwähnte Abschlussdiskussion, die das in drei Gruppen aufgeteilte Plenum zusammenbrachte. Auf einer der Präsentationsfolien von Peter Missal mag die Aussage von Einstein den Tenor der sehr interessanten Tagung nochmals auf den Punkt bringen:
Everything that can be counted does not necessarily count; everything that counts cannot necessarily be counted.”
So ist es nun mal mit dem Erfahrungswissen und implizit vorliegendem Wissen: nicht alles, was zählt, kann gezählt werden, und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt – auch und gerade jenes Wissen, das sich klassichen Ansätzen und dem Abbilden in Datenbanken widersetzt, kaum oder gar nicht messbar ist und im Verborgenen bleibt, macht den Unterschied zwischen guter und fehlerhafer oder zumindest weniger effizienter Performance in der Instandhaltung aus!
Einen herzlichen Dank für diese gelungene Tagung nochmals an den Veranstalter TaCook und insbesondere Günther Schmittberger!
Christine Erlach & Karin Thier