Brugg, ein kleines Städtchen im Aargau der Schweiz, nur eine halbe Stunde von Zürich entfernt, war Mitte Feburar 2017 eine pittoreske Bühne für den 63. großen Frühjahrskongresses der GfA, Gesellschaft für Arbeitswissenschaft e.V. unter dem Motto: „Sozio-Technische Gestaltung des digitalen Wandels“.
Die über 500 Jahre alten Häuser im Stadtkern schmiegten sich fast nahtlos an die modernen Glasbauten der Fachhochschule der Nordwestschweiz und der Hochschule für Angewandte Psychologie, dem Ausrichtungsort des interdisziplinären Kongresses.
So divers und gegensätzlich die Architektur, so divers und gegensätzlich auch der Kongress. Für Ingenieure, IT’ler, Ergonomen und Psychologen gab es Dutzende von Fachvorträgen und Poster-Sessions, die den derzeitigen Forschungsstand zur Interaktion von Mensch und Maschine und deren Auswirkungen auf die Arbeit, den Mensch und die Gesellschaft thematisierten.
Ganz wohl war mir nicht immer bei so manchem dieser Vorträge…. das Bild, das von der Arbeitswelt von morgen gezeichnet wird, ist effizient, ergonomisch perfektioniert, zeit- und ortsunabhängig, prozessoptimiert – und es zeigt uns Menschen in Interaktion mit Assistenzsystemen, vertieft in die Arbeit an mobilen Devices, eingespannt in Roboterarme, vernetzt mit etlichen Analyseinstrumenten und Datenwolken – und es zeigt uns als Teil der digitalen Arbeitswelt allseits und überall erreichbar.
Freizeit im Sinne von „frei haben von digitaler Vernetzung“ und im Sinne von „nicht erreichbar sein“ wird es nicht mehr lange geben. Die Arbeitswelt von morgen zeichnet sich durch einen rasanten Wandel und steigende Komplexität aus, sie muss sich nicht nur neuen Technologien und Märkten, sondern auch dem Wandel in bewährten Arbeitsweisen und Wertesystemen stellen.
Die Welt von morgen wird uns keine Freiräume von der Digitalisierung geben, wenn wir nicht dafür sorgen, dass die technischen Möglichkeiten sich den menschlichen Bedürfnissen unterordnen. Wer gibt wem die Hand, das war eine der wichtigsten Kernfragen auf diesem Kongress zur Zukunft der Arbeitswelt. Wird der technologische Fortschritt durch die Möglichkeiten der Technik getrieben, oder durch die Bedarfe der Menschen? Meine Erkenntnis aus vielen Diskussionen und Fachvorträgen: Es ist ungleich schwerer, etwas zu programmieren, was bestimmten Anforderungen genügen soll, als einfach mal auszuprobieren, was die Technik so hergibt und dann zu sehen, wie wir damit zurechtkommen.
Organisationen müssen sich schnell und fortwährend anpassen können. Sie brauchen dafür neue Wege und Denkmuster, die es ihnen ermöglicht, sich in diesem Wandel anzupassen, Sinn zu stiften und sowohl die Kunden als auch die Mitarbeiter emotional zu erreichen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen, die Wandel und Anpassung überdauert. Der narrative Zugang auf Organisationen ist ein wichtiger Katalysator für diese Transformations- und Sinnstiftungsprozesse. Doch was steckt hinter diesem narrativen Zugang und was hinter der Wirkkraft von (Unternehmens-)Geschichten?
Das war eine der Leitfragen für das Symposium unter der Leitung von Prof. Michael Dick, Universität Magdeburg: „Sinnerleben in der digitalen Arbeitswelt. Das narrative Unternehmen: Die Bedeutung von Erzählungen für Organisationsgestaltung.“
Wir Vortragenden waren uns mit den Zuhörern einig: der digitale Wandel ist nicht aufzuhalten. Er kann ein wahrer Segen für uns Menschen werden, sofern wir uns der mit dem Wandel einhergehenden Risiken bewusst sind: Verlust der Bindung an Organisationen, Verlust des Empfindens von Sinnhaftigkeit der eigenen Tätigkeit, zunehmende Anonymisierung und Individualisierung unter den Mitarbeitern, Normierung und massiver Erfolgsdruck in Berufen, die an jedem beliebigen Ort und zu jeder beliebigen Tageszeit dank der digitalen Transformation ausgeführt werden können bzw. müssen…
Das genau ist das janusköpfige Wesen des digitalen Wandels, denn alles hängt von der Betrachtungsweise ab und davon, welche Forschungsfragen man stellt und welche Gestaltungsspielräume man in Organisationen den Mitarbeitern einräumt, um dem „Tsunami der digitalen Transformation“ (so ein Teilnehmer aus unserem Symposium) die destruktive Kraft zu nehmen und stattdessen die Chancen des Wandels wahrzunehmen.
Beste Grüße sendet
Christine Erlach