„Ich schmeiß Sie einfach alle in den Mülleimer“, schrie ich wütend an einem Abend kurz nach Weihnachten in Richtung Familie. Gemeint waren die Unmengen an Süßigkeiten die sich in Form von Geschenken von Oma, Tanten, Nachbarn, etc. bei uns angesammelt hatten und die seit Tagen in ungesunden Mengen, zu jeder Tageszeit und gern auch vor einer Mahlzeit konsumiert wurden. „Fett werdet ihr alle werden, mit schwarzen Karieszähnen“, zischte ich hinterher.
Ich gebe zu, jedes Jahr verspüre ich ein regelrechtes Unwohlsein angesichts der allgemeinen Völlerei und des Überflusses an Lebensmittel um die ganzen Feiertage herum.
Besonders ärgerte ich mich dieses Weihnachten über den bis zum Rand mit Gummibärchen, Schokolade, Bonbons, Karamell, Dominosteinen gefüllte roten Nike-Schuhkarton von Tante Ellis. Tante Ellis ist die „Westtante“ von meinem Mann, die in seiner Kindheit Westpakete mit Levis-Jeans, Kaffee, T-Shirts und gaaannz viel Schokolade verschickt hat und das tut sie fast 90-jährig für ihren geliebten Neffen immer noch.
Alles einfach wegzuschmeißen habe ich dann doch nicht übers Herz gebracht, aber um den Zugang zu dem „ungesunden Zeug“ zu erschweren, wurde die gesamte Kiste von mir unwirsch ganz oben auf den Küchenschrank gestellt, wohl mit der unwahrscheinlichen Hoffnung, niemand möge ihn entdecken und sein Inhalt sich einfach nach und nach auflösen. Das hat er auch fast, wie ich gestern merkte, aber sicher nicht in Luft :-).
Gestern, im Zuge der Weihnachtlichen Aufräum- und Abschmückarbeiten im Haus, fiel mir auch der rote Nike-Schuhkarton wieder ins Auge und ich habe ihn vom Küchenschrank gehoben (er war deutlich leichter!). Drinnen noch ein paar traurige Gummibärchen, eine Schachtel mit angegessenen Dominosteinen und ein kleines rotes Büchlein mit dem Titel „Kerzenhelle wird die Nacht – Gedichte und Geschichten zur Weihnacht“ und plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Da hatte Tante Ellis ganz unten, unter all den Süßigkeiten noch eine kleine Überraschung für uns versteckt. Eine kleine Aufmerksamkeit, vielleicht aus ihrem Fundus, denn neu was das abgegriffene Büchlein nicht. Ich betrachtete den roten Nike-Schuhkarton genauer und merkte, dass mir in meiner „Süßigkeitenwut“ nicht nur das kleine Büchlein entgangen war: ich sah, dass auf dem Schuhkarton immer wieder mit zittriger Schrift der Name meines Mannes geschrieben stand, ich sah die vielen kleinen wild platzierten Weihnachtsaufkleber und überlegte wie viel Kraft es Tante Ellis gekostet haben mag, den Schuhkarton zu verpacken. Ich spürte wie wichtig und wertvoll ihr dieses Geschenk war und das rührte mich. Mir wurde klar: sehr gerne habe ich noch ganz viele Jahre so einen Weihnachtsschuhkarton bei uns zu Hause.
Ich blättere in dem Büchlein und fand ein Gedicht, das so passend für all die Tätigkeiten und Gefühle in diesen Nachweihnachtstagen ist:
Weihnachtsausklang von Wystan H. Auden
Soweit gut und schön. Nun müssen wir den Baum abräumen,
den Schmuck wieder in seine Pappschachteln zurücklegen –
einiges ging kaputt – und auf den Dachboden hinauftragen.
Stechpalmen und Mistelzweige sind abzunehmen und zu verbrennen,
die Kinder für die Schule herzurichten.
Es ist noch genug an Speiseresten da zum Aufwärmen für den Rest der Woche.
Nicht, dass wir großen Appetit hätten, nach dem vielen Alkohol,
dem langen Aufbleiben und dem Versuch, unsere Verwandtschaft zu lieben.
Wir haben im Ganzen unsere Kräfte überschätzt.
Wieder einmal wie in allen Jahren haben wir die Erscheinung gesehen,
und es misslang wieder, sie für mehr als eine angenehme Möglichkeit hinzunehmen .…
Soweit gut und schön und jetzt reicht es aber auch mal mit Weihnachten!
NARRATA Consult wünscht allen einen guten Jahres- und Arbeitsanfang und schickt dafür die besten Grüße.
Alles Gute,
Karin Thier