Image: Tobias Aeppli über pexels
Das Geschichtsmodell der Heldenreise ist das vorherrschende Erzählmodell der Gegenwart. Nicht nur in Film, Literatur und Journalismus findet sich die Heldenstruktur überall wieder, auch im Marketing, Branding, Content Management und eigentlich in der gesamten internen und externen Unternehmenskommunikation ist die Heldenreise meist das Mittel der Wahl, wenn es um den Einsatz von Storytelling geht.
Das Modell der Heldenreise bietet dabei viele Vorteile: Es ist leicht verständlich, liefert eine klare Struktur und lässt sich auf fast alle Thematiken anwenden: Von der Aufbereitung der Firmenhistorie als Heldenepos, über den Einsatz als Planung- und Reflexions-Tool für Teams bis zur Kundenstory, in der der Kunde selbst zum Held wird und auf seiner Reise von einem Produkt bzw. einem Unternehmen unterstützt wird.
Obwohl die Heldenreise wohl als das erfolgreichste Erzählmodell gerade auch im ökonomischen Kontext angesehen werden kann und ich es seit Jahren erfolgreich in Seminaren, Workshops und Kundenprojekten einsetze, stellt sich mir seit längerer Zeit die Frage, ob das in sich geschlossene Heldenepos, welches die Themen Kampf, Sieg, Gut gegen Böse, wir bzw. ich gegen die Anderen in den Mittelpunkt stellt, auch in Zukunft noch das vorherrschende Modell des Erzählens sein sollte oder ob es nicht an der Zeit ist mit neuen Erzählmöglichkeiten zu experimentieren.
Warum unsere Zeiten nach einem neuen Erzählduktus verlangen? Wie schrieb meine Kollegin Christine Erlach im letzten NARRATA-Post: Wir leben in Zeiten immer schnelleren Wandels (Link). Dabei wird die Stimme der Wachstumskritiker, welche das gesellschaftliche, politische und unternehmerische Ziel des Wirtschaftswachstums kritisieren, immer lauter. Immer mehr Menschen stellen das Bestreben nach ständiger Beschleunigung, Optimierung, Ressourcenerweiterung in Frage. Der Erwartungsdruck immer besser, schneller, erfolgreicher sein zu müssen, um nur ja mitzuhalten führt bei immer mehr Menschen bzw. Mitarbeitern zu Burnout und Depression.
Eine andere zu beobachtende Trendwende ist, dass für immer mehr Kunden das Image eines Unternehmens in Bezug auf Nachhaltigkeit, ökologische Gesichtspunkte und sozial Fairness bei der Kaufentscheidung eine Rolle spielt.
Und noch etwas ist wahrzunehmen: Für viele Menschen und besonders für die am Arbeitsmarkt heiß umworbenen 25-35-Jährigen lässt sich eine spürbare Sehnsucht nach mehr Gemeinschaft, Dialog, Austausch, Integration, Beziehungen, Regionalität, Teilhabe ausmachen, die sich auch zunehmend auf die Wahrnehmung und Wahl des Arbeitsplatzes auswirkt.
Unternehmen sehen sich verstärkt mit der Frage konfrontiert, wie ihre Positionierung und ihre Beiträge zu diesen Zukunftsthemen aussehen. Und dies wiederum wird immense Auswirkungen für die Form und die Inhalte von Unternehmenskommunikation, Content Management, Branding und Recruiting haben.
Zwei mögliche Erzählmodelle, die sich für die Vermittlung dieser Zukunftsthemen eignen können, möchte ich hier kurz vorstellen:
Dialogische „Jointly told Tales“: Das sind Geschichten die einen Sachverhalt aus multiperspektivischer Sichtweise erzählen. Sie sind nicht in sich geschlossen und lassen Raum für neue, weitere Ansichten und Meinungen. Die Erzählweise ist dabei dialogisch und nicht hierarchisch. Alle Erzähler sind gleichwertig und erzählen aus ihrer Perspektive. Im Prinzip handelt es sich um viele kleine Stories, die zu einer großen gemeinschaftlichen Geschichte verwoben werden. Das Konzept der „Jointly told Tales“ geht auf den Ethnologen John van Maanen (mehr dazu in seinem Buch „Tales from the Field“) zurück und findet sich auch stark in der Methode der Learning Histories (siehe auch Karin Thier, 2018) wieder.
„Resonanznarrative“: Hierbei handelt es sich um Geschichten über gelingende Wechselbeziehungen zur Welt. Also um Geschichten über Erfahrungen und Momente, die uns wirklich ergreifen. Im Unternehmenskontext beispielsweise die Reaktion eines Kunden oder die Erlebnisse eines Mitarbeiters. Erzählt werden Erfahrung, die zeigen, dass ich berührt werde aber auch, dass ich jemanden berühren kann. Bei den Resonanznarrativen spielt vor allem der „Point of View“, das Warum eine Rolle. Ziel der Geschichte ist nicht die Demonstration von Macht, Wachstum und Erfolg, sondern in erster Linie die Beschreibung von gelungenen Wechselbeziehungen des Unternehmens zur Welt, den Mitarbeitern und den Kunden. Die „Resonanznarrative“ gehen auf die von Hartmut Rosa entwickelte Resonanzthese zurück (ausführlich in seinem Buch „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ dargestellt) die besagt, dass gelingendes Leben (respektive gelingende Ökonomie?) dann passiert, wenn wir mit der Welt in Resonanz treten, also eine Antwortbeziehung mit ihr eingehen.
In Teil 2 dieser Blogreihe werde ich die Resonanznarrative und ihr mögliches Potenzial für die Unternehmenskommunikation, Content Management und Branding einmal näher beleuchten. Teil 3 beschäftigt sich dann genauer mit die Möglichkeiten, die „Jointly told Tales“ bieten.
Ich freue mich auf Rückmeldung und auf einen regen Austausch über narrative Zukunftsszenarien.
Herzliche Grüße,
Karin Thier
(Bildquelle: Tobias Aeppli über Pexels: Herzlichen Dank!)
8 Kommentare
Spannend! Und: danke für die Erlösung von der Überstrapazierung der Heldenreise
Liebe Silvia,
danke! Ich freue mich auf ein gemeinsames weiterspinnen von Ideen…
Danke für die Ausführungen, liebe Karin. Die beiden vorgeschlagenen Erzähltheorien finde ich spannend und sehr sympathisch. Und sie greift die postmoderne Erzähltheorie auf: Nicht mehr die eine, große Geschichte, sondern viele kleine Geschichten, die koexistieren dürfen und aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden und sich ergänzen.
Aus meiner Erfahrung tun Unternehmen gut daran, eine Narrative / Metageschichte für sich zu entdecken, die mit ihren Werten und ihrem Daseinszweck korrespondiert. Und von da aus sollten sie viele kleine Geschichten erzählen, die die große Narrative stützen. Dabei muss die „Metageschichte“ keine Geschichte im Sinne der Heldenreise sein, sondern eher so etwas wie ein „Wertekern“. Und von dem aus werden die vielen kleinen Geschichten erzählt, die den Wertekern stärken. Dabei können die von dir beschriebenen Erzähltheorien sehr hilfreich sein.
Ich freue mich auf Teil 2 Deiner Blogreihe!
Liebe Katrin,
vielen Dank für deinen wertvollen Kommentar! Ich finde auch, dass eine „Master-Story“ oder Metageschichte, welche ja die Resonanzbeziehung des Unternehmens nach innen und nach außen kommunizieren sollte eine sehr wichtige Basis für jegliche Form der internen und externen Unternehmenskommunikation bildet,
Dieser Beitrag spricht mir geradezu aus der Seele!
Papsatt von den vielen Heldenreisen, die mich überall anspringen, frage ich mich schon lange, ob es da nicht noch mehr und zeitgemäßere Erzählstrukturen geben könnte. Monomythos hin oder her. Alles über einen Kamm zu scheren war noch nie gut – es langweilt auf die Dauer. Wie inspirierend die beiden vorgestellten Anätze dagegen wirken. Das macht Lust auf mehr.
Lieber Herr Lanzenberger,
herzlichen Dank für Ihren Kommentar! Ich bin auch sehr gespannt, ob und wie sich diese Ansätze in Form von beispielsweise Business Movies umsetzen lassen. Falls Sie in nächster Zeit ein geeignetes Projekt für so ein Experiment haben, freue ich mich sehr über Feedback.
Liebe Karin,
da fallen mir gleich mehrere Projekte dazu ein! „Local impact of global climate change in Europe“ – eine Webdokumentation in Finnland und der Dokumentarfilm die Langau – Über Begegnung und Lebenssinn. Wir haben genau diese von Dir beschriebenen Ansätze in beiden Projekten geplant, vielleicht können wir eine Studie dazu zusammen machen? Freu mich auf mehr in dieser Hinsicht- es wird Zeit. Die Menschen brauchen neue Narrationsformen!
Liebe Katja,
das ist ja wirklich spannend! Über diese zwei Projekte und eure Ideen dazu musst Du unbedingt mehr erzählen. Eine gemeinsame Studie um Möglichkeiten und Grenzen solcher innovativer Narrationsformen zu untersuchen wäre prima. Bin ich gerne mit dabei :-)!